Marienbild, 2004

 "... Die Marienandacht in St. Maximilian Kolbe befindet sich nahe dem Eingang in einem dreieckigen Raumsegment, das durch die raumhohe Glaswand vom Hauptraum getrennt, zwischen Kirchenoktogon und Atrium vermittelt. Über einem schlichten Sockel aus Untersberger Marmor erhebt sich eine hochrechteckige Stele aus leuchtend weißem  Alabastergips. Einem Model gleich, gibt die Stele eine Hohlform frei, deren Konturen die reduzierten Züge einer stehenden Frau mit Kind tragen; allgemein, archaisch und von zeitloser Würde. Ein Projektor, der nahe der trennenden Glaswand platziert ist, projiziert das Bild einer Frau mit Kind auf dem Arm in die Hohlform (Technik: Gobo). Fotografische Aufnahmen von dreizehn Müttern mit ihren Kindern aus der Pfarrei sind übereinander gelegt und mittels Computerbearbeitung zu einem einzigen, gleichsam "universalen" Bild verschmolzen. Auf den ersten Blick vertraut, stellt sich bei längerer Betrachtung ein vielfältiges, verstörendes und im wörtlichen Sinn "verdichtendes" Bild ein. Ungeachtet der Projektion in eine Negativform präsentiert sich das Marienbild in unerwarteter Plastizität und Tiefenräumlichkeit, welche die Hohlform nicht vermuten lassen. Trotz formaler Angleichung von Hohlform und Projektion überschneiden Haare, Füße und Gewand an einigen Stellen die plastische Form und verleihen der Figur Lebendigkeit. Die übereinander gelegten Fotografien entwickeln in ihrer gerasterten Bildauflösung eine gleichsam graphische Textur, die an Pastell- oder Kreidezeichnungen erinnert und in ihrem freien, bewegten Duktus eine geradezu barocke Sinnlichkeit beschwört (vgl. z.B. Haare des Kindes). .... Während sich Bild und Bildträger in der distanzierten Betrachtung zunächst als klassische Einheit darstellen, offenbart sich die "installative" Dimension der Arbeit erst in jenem Moment, in dem der Betrachter in den Projektionskegel tritt. Das eben noch real erscheinende Bild einer Frau mit Kind entschwindet und wird durch eine "immaterielle" Hohlform ersetzt, die nach einem Augenblick des Erstaunens und der Irritation zu einem neuerlichen Dialog auffordert. Die plötzliche "Bildlosigkeit" zwingt den Gläubigen, das Marienbild in sich selbst zu suchen und auf imaginäre Weise in der "Vor-stellung" zu erschaffen..."

Dr. phil. Alexander Heisig (das münster, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft, 2/2005)